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Neue Modelle für die Arbeitszeiten

Das Klinikum Bielefeld startet im Sommer mit einer Vier-Tage-Woche. Was sagen Pflegeverbände dazu?

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Foto: AdobeStock/Kzenon Kann die Vier-Tage-Woche in der Altenpflege funktionieren? Pflegeverbände sind skeptisch.

Das Klinikum Bielefeld greift eine generelle Debatte über Arbeit der Zukunft auf: Die Vier-Tage-Woche startet im Sommer auf einer neuen internistischen Station mit 30 Betten als Pilotprojekt für Pflegekräfte. Pflegeexperten und Verbände fragen sich: Kann das funktionieren? Die NRW-Vertretung des Berufsverbandes für Pflegeberufe, die Pflegekammer NRW und Verdi befürworten diesen Vorstoß im Gespräch mit der dpa grundsätzlich. Paulina Heckmann, Pflegerin auf einer Intensivstation in Köln-Kalk, schließt sich an: „Die Aussicht auf einen Tag mehr frei fände ich gut und motivierend.“

Wie das Konzept funktioniert? Heckmanns Kollegen im ab Juli geplanten Pilotprojekt sollen vier statt fünf Dienste in der Woche leisten, garantiert jedes zweite Wochenende frei haben – und sich auf Dienstpläne verlassen können, so das Klinikum. Derzeit laufe die interne und externe Stellenausschreibung für 30 Vollzeitstellen für die neu gegründete Station, sagt Geschäftsführer Michael Ackermann. Man setze eine Anregung aus der Mitarbeiterschaft um. Bereits nach zwei Wochen stehe die erste Überprüfung des Modells an.

Kritik: Lange Schichten sind fordernd

Aber: Die Wochenarbeitszeit soll sich dabei insgesamt nicht verkürzen. Tariflich sei schließlich eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden für eine Vollzeitstelle vorgesehen, so Ackermann. Das gibt wiederum den Pflegevertretern zu denken. Sie argumentieren, dass die Belastung sich nicht verringere, wenn der gleiche Arbeitsumfang in weniger Tagen geleistet werde. Auch Pflegerin Heckmann betont: „Solch lange Schichten können extrem fordernd sein. Wir haben das auch mal im Team diskutiert. Vor allem die Jüngeren waren dafür, die Erfahreneren eher dagegen.“ Ackermann vom Klinikum Bielefeld indes betont, dass der Freizeitanteil steige. Und: Durch die längere Schichtdauer von 9,5 Stunden überlappten sich Früh- und Spätschicht nun zweieinhalb Stunden statt 45 Minuten. Das bedeute letztendlich: mehr Hände für die Patienten – mehr Zeit für Übergaben.

Den allgemeinen Denkanstoß begrüßen Interessensgruppen und Gewerkschaft. Nur so sei langfristig der immense Bedarf zu decken. Es sei „unglaublich wichtig“, verschiedene Arbeitszeitmodelle auszuprobieren, sagt NRW-Pflegekammer-Präsidentin Sandra Postel.
Das Statistische Bundesamt hat berechnet, dass bis 2055 allein in NRW fast 1,6 Millionen pflegebedürftige Menschen zu erwarten sind. Das ist ein Zuwachs um etwa 400.000 im Vergleich zu 2021. Ein Job mit Zukunftsperspektive also. Doch die allein lockt offensichtlich nicht: Dass der Rückgang neuer Pflege-Azubis in NRW besonders drastisch ausfällt, stellte das Bundesamt ebenfalls fest.
Tim Bergmann, Gewerkschaftssekretär bei Verdi im Pflege-Fachbereich, pflichtet der Pflegekammer-Präsidentin bei. Längere Erholungsphasen seien ein wichtiges Instrument, aber nicht bei identischer Wochenleistung: „Wir reden von einem körperlich wie mental sehr fordernden Beruf.“ Postel kritisiert gar den Begriff „Vier-Tage-Woche“. Dieser sei dann „unlauter“, „wenn am Ende niemand weniger gearbeitet hat“. Das sei kein Geschenk an die Mitarbeiter, sondern lediglich eine Umstrukturierung. Einen möglichen Flickenteppich verschiedener Arbeitszeitmodelle könnte aus seiner Sicht gar die Personalprobleme der Branche noch verschärfen. „Wir müssen aufpassen, dass sich Einrichtungen nicht gegenseitig das Personal entziehen“, mahnt er.
Dennoch: Viele mögliche Vorteile des Modells lägen auf der Hand, argumentiert Postel. Sie verweist auf Beispiele aus Österreich. Wenn die Belegschaft hinter der Vier-Tage-Woche stehe, bringe die Umsetzung für alle etwas. Die Pflege suche ihre Zukunftsfähigkeit und stehe unter massivem Druck – notwendig seien neue Wege also allemal.

Domino-Effekt könnte folgen

Gewerkschafter Bergmann blickt indes deshalb auch positiv auf den Versuch in Bielefeld, weil er von einem Domino-Effekt ausgeht: „Wenn der erste Maximalversorger auf vier Arbeitstage umstellt, werden die anderen im Wettbewerb um Fachkräfte nachziehen.“
Dass in der Pflegebranche intensive Diskussionen darüber geführt werden, wie es weitergehen kann, das befürwortet auch Paulina Heckmann. Sie persönlich findet, „zwei Stunden mehr am Tag machen den Braten auch nicht mehr fett“, weiß aber auch, dass das andere Teammitglieder ihrer Station anders sehen. Ihr Wunsch: verschiedene Arbeitszeitmodelle, sodass alle glücklich sind – und letztlich die Patienten profitieren.